Hüter der Erinnerung

Die Welt, in der Jonas lebt, ist etwas sehr perfekt: alles ist organisiert, Kriege, Verbrechen, Unheil sind gebannt, jeder ist zufrieden, keine Lebenswendung bleibt zu entscheiden. Manches fehlt: Musik, Farben, Gefühle, aber das wird den Beteiligten nicht klar. Als Jonas mit 12 Jahren seinen Beruf als 'Hüter der Erinnerung' zugeteilt bekommt, werden ihm im Dialog mit seinem Vorgänger und Anleiter Geber nach und nach die Konsequenzen seiner neuen Aufgabe klar: er als eine der wichtigsten Institutionen soll die negativen wie positiven Erinnerungen seiner Mitmenschen verwalten, die diesen samt ihres Bewusstseins genommen wurden, um ihnen eine glückliche Gegenwart zu garantieren. Er erkennt die Gefahren dieser Gesellschaftskonstruktion und beginnt, Widerstand zu leisten, gegen seine Eltern, die es nicht besser wissen können, und gegen das System.
Lois Lowrys Negativutopie steht in der Tradition der Klassiker von Aldous Huxley oder George Orwell, ist aber konsequent auf ein jugendliches Publikum ausgerichtet. Wer da nun eigentlich an den Fäden dieser autoritären, bis ins Kleinste reglementierten und asexuellen Gesellschaft zieht, wird nicht formuliert, das Schicksal des Protagonisten pendelt zwischen persönlicher und gesellschaftlicher Erkenntnis. Das Ende bleibt offen: ob der negativen die positive Utopie folgt, wird nicht erläutert, es bleiben nur Möglichkeiten. Gerade dieser Umstand macht die dem Gegenstand adäquate, unaufgeregte Lesung von Monica Bleibtreu als Denk- und Diskussionsgrundlage für ein jugendliches Publikum interessant. (wg)